Die Verbindung zwischen Emotionen und Essverhalten ist komplex und vielfältig. Es besteht ein wechselseitiger Zusammenhang: Das Essverhalten verändert Emotionen und Emotionen beeinflussen das Essverhalten. Sich diesem komplexen Wechselspiel bewusst zu sein, stellt den ersten Schritt Richtung Veränderung dar, wenn es darum geht, problematisches Essverhalten hinter sich zu lassen. Im Sinne des psychischen und körperlichen Wohlbefindens lohnt sich die Auseinandersetzung mit dieser Thematik.
Emotionen sind Begleiter des täglichen Lebens. Ebenso steht “Essen” auf der täglichen “to-do-Liste” 😉
In Anbetracht der Tatsache, dass wir also tagtäglich mit dem Zusammenspiel zwischen Emotionen und Ernährung konfrontiert sind, lohnt sich die Befassung mit diesem komplexen Zusammenhang. Ist man zum Beispiel weniger gut in der Lage, die eigenen Emotionen auf konstruktive Weise zu regulieren, besteht die Gefahr, dass die Bewältigung unangenehmer Emotionen über ein ungesundes Essverhalten erfolgt.
Emotionen prägen das Essverhalten
Emotionen wie Traurigkeit, Freude, Angst, Ärger oder Ekel bzw. bestimmte Stimmungslagen können auf unterschiedliche Art und Weise das Essverhalten lenken. Untersuchungen zeigen, dass z.B. Langeweile eher mit einer Steigerung, Eifersucht eher mit einer Reduzierung des Appetits einhergeht. Darüber hinaus gibt es große individuelle Unterschiede. Negativ empfundene Emotionen steigern bei Personen mit gezügeltem Essverhalten die Motivation zu essen - bei Personen mit "natürlichem" Essverhalten führen unangenehme Emotionen eher zu einer Hemmung des Appetits. Das bedeutet also, dass Emotions-bedingte Veränderungen des Essverhaltens von der jeweiligen Person und der Art der Emotion abhängig sind.
Einflussmöglichkeiten von Emotionen auf das Essverhalten
Bei genauerer Betrachtung ergeben sich unterschiedliche Einflussmöglichkeiten von Emotionen auf das Essverhalten:
Einerseits bestimmen Emotionen, die durch Nahrungsmittel hervorgerufen werden, die Nahrungsauswahl. Demnach steigern positive Emotionen die Nahrungsaufnahme (z.B. Emotionen, die durch den wunderbaren Geschmack oder Geruch eines frisch gebackenen Kuchens hervorgerufen werden), negative Emotionen hemmen diese (z.B. die Abneigung gegenüber einer verdorbenen Speise).
Andererseits gehen sehr stark ausgeprägte Emotionen wie Angst, Ärger oder Traurigkeit mit einer Hemmung des Essverhaltens einher. Negativ empfundene Emotionen können aber auch Emotions-regulierendes Essen auslösen. In diesem Fall führen Stress oder andere unangenehme Emotionen zu einem gesteigerten Essverhalten im Sinne der Emotionsbewältigung.
Darüber hinaus führen Emotionen zu einer Enthemmung gezügelten Essverhaltens. Der Begriff “gezügeltes Essverhalten” bezeichnet eine dauerhafte Kalorien-Reduktion mit der Absicht, Gewicht zu verlieren oder zu halten. Signale des Hungers bzw. des Appetits werden oft nicht beachtet - dazu braucht es kognitive Kontrolle und genau diese geht durch das Einwirken von Emotionen (positiven wie negativen) verloren. Folglich kann es zu einem enthemmten Essverhalten kommen. Bei Personen, die kein gezügeltes sondern ein "natürliches" Essverhalten zeigen, ist die Nahrungsaufnahme auf die jeweilige Emotion abgestimmt: Freude - gekennzeichnet durch die Bereitschaft, Reize aufzunehmen und zu verarbeiten - steigert den Appetit. Traurigkeit - gekennzeichnet durch eine reduzierte Reizverarbeitung und Handlungsbereitschaft - verringert die Essmotivation.
Das Essverhalten beeinflusst Emotionen
Ebenso wie Emotionen das Essverhalten steuern können, kann auf der anderen Seite das Essverhalten zur Beeinflussung von Emotionen führen.
Vor allem bei Personen mit ungesundem Essverhalten (z.B. bulimische, anorektische, mehrgewichtige Personen oder Personen mit gezügeltem Essverhalten) zeigen sich Zusammenhänge zwischen der Ernährung und emotionalen Reaktionen. Beispielsweise kann der Konsum von energiereichen Speisen mit unangenehmen Emotionen einhergehen. Je höher der Energiegehalt einer Mahlzeit, desto stärker treten negative Emotionen wie Schuld- oder Versagensgefühle auf. Lebensmittel können also bestimmte Assoziationen hervorrufen - negative aber auch positive. So kann der Anblick frisch gebackener Vanillekipferl am Weihnachtsmarkt die autobiographische, wohltuende Erinnerung wach rufen, wie in der Kindheit im Advent gemeinsam mit Oma Kekse gebacken wurden.
Nicht nur Nahrungs-assoziierte Vorstellungen und Erinnerungen rufen emotionale Reaktionen hervor, sondern auch Geruchs- oder Geschmacksreize. Bereits Neugeborene reagieren auf sauren oder bitteren Geschmack mit einer negativen Mimik. Hingegen führt der süße Geschmack zu Stressreduktion und emotionaler Beruhigung.
Darüber hinaus hat die zugeführte Nahrung durch die Versorgung des Körpers mit Energie Einfluss auf die emotionale Befindlichkeit - je nach Mahlzeiten bzw. Energiezufuhr reicht das Empfinden von Entspannung, Desaktivierung, verbesserter Stimmungslage bis hin zu depressiver Stimmungslage nach einem längeren Zeitraum (Wochen bis Monate) verminderter Energiezufuhr.
Zudem wird die Bildung von Stimmungs-regulierenden Botenstoffen im Körper durch die Ernährungsweise mitbestimmt, denn die einzelnen Baustoffe für unsere Stimmungs-Hormone müssen über die Nahrung aufgenommen werden (mehr dazu in Was hat unsere Ernährung mit guter Laune zu tun?)
Die Integrative Ernährung hat Emotionen und Essverhalten im Blick
Wie man sieht, ist der Zusammenhang zwischen Emotionen und Essverhalten komplex und vielseitig. Unsere emotionale Gesundheit kann unser Essverhalten beeinflussen und umgekehrt kann unser Essverhalten auch unser emotionales Wohlbefinden prägen.
Eigene Verhaltensmuster zu erkennen und zu verstehen sowie die Verbindung zum emotionalen Geschehen herstellen zu können, ist ein wertvoller und aufschlussreicher Aspekt der Selbstreflexion. Dadurch ergibt sich die Möglichkeit, unerwünschte Verhaltensweisen zu verändern und die eigenen Handlungsspielräume zu erweitern, was zu mehr Lebensqualität und besserer Gesundheit beiträgt.
Die integrative Ernährung mit ihrem ganzheitlichen Zugang bietet wertvolle Möglichkeiten, um ein bereicherndes, unbeschwertes Essverhalten zu leben und einen reflektierten Umgang mit den beschriebenen Zusammenhängen zu finden. Nicht zuletzt deshalb, weil diese Form der Ernährung auf Genuss, Ausgewogenheit, Bekömmlichkeit, Alltagstauglichkeit sowie Individualität setzt und stets psychologische Aspekte im Bereich der Ernährung und des Essverhaltens mitberücksichtigt.
Quelle:
Macht, M. (2005): Essen und Emotionen, in: Ernährungs-Umschau 52/8 (2005), 304-308
Comments