Ursache für Kontrollverlust beim Essen sind häufig unangenehme Emotionen und fehlende Alternativen der Emotionsbewältigung. Schwierige Emotionen können das Essverhalten erheblich beeinflussen, wenn ein angemessener Umgang mit ihnen fehlt. Auf Dauer schadet dies sowohl der körperlichen als auch der psychischen Gesundheit. Daher ist es für ein entspanntes, genussvolles Essverhalten und das psychische Wohlbefinden wichtig, einen konstruktiven Umgang mit Emotionen zu finden.
Emotionen sind unsere ständigen Begleiter im Alltag: Wir sind genervt, wenn wir im Stau stehen oder lange an der Supermarkt-Kassa warten. Wir fühlen uns gestresst und überfordert, wenn sich die Arbeitsaufgaben unter Zeitdruck anhäufen. Wir sind traurig, wenn wir Verluste erleben (z.B. Trennung von Beziehungspartner*in, Tod einer nahestehenden Person, Diagnose einer Krankheit = Verlust der Gesundheit). Wir sind wütend, wenn wir uns ungerecht behandelt fühlen oder vielleicht ängstlich, wenn wir vor einer wichtigen Prüfung stehen. Die Art und Weise, mit Emotionen umzugehen, ist sehr variabel. Nicht immer sind Verhaltensweisen, die der Bewältigung starker Emotionen dienen, gesund. Wird beispielsweise Essen als Strategie zur Beruhigung oder Entspannung eingesetzt, kann dies auf Dauer mit gesundheitlichen Problemen einhergehen. Gezielte und bewusste Emotionsregulation kann dabei helfen, einen konstruktiven Umgang mit Emotionen zu entwickeln und die körperliche sowie die psychische Gesundheit zu stärken.
Was bedeutet Emotionsregulation?
Der Begriff Emotionsregulation bezeichnet Fähigkeiten, die zu einer Veränderung der Emotionsintensität führen. Das heißt nicht, dass Emotionen vermieden oder unterdrückt werden. Grundlage dieser Fertigkeiten ist das Verständnis dafür, wie wir selbst aufgrund eigener Ziele das Auftreten von Emotionen aktiv beeinflussen und wie wir erwünschte Emotionen fördern bzw. unerwünschte Emotionen reduzieren können. Darüber hinaus umfassen diese Fähigkeiten nicht nur Maßnahmen, die unsere eigenen Emotionen regulieren, sondern auch die Emotionen unseres Gegenübers.
Unangenehme Emotionen und Essverhalten
Im Allgemeinen unterscheiden wir zwei Kategorien von Emotionen: Jene, die sich gut anfühlen (z.B. Freude, Zuneigung, Stolz) und jene, die sich schlecht anfühlen (z.B. Ärger, Anspannung, Angst, Traurigkeit, Einsamkeit). Der Wunsch, unangenehme Emotionen - wenn möglich - zu vermeiden, ist wohl eine logische Konsequenz. Wer fühlt sich schon gerne schlecht? Doch auch die Emotionen, die sich nicht gut anfühlen, haben einen ebenso bedeutenden Stellenwert wie positiv bewertete Gefühlszustände, denn sie haben eine wichtige Funktion. Sie helfen uns dabei, unseren Bedürfnissen nachzukommen, unsere Ziele zu erreichen und unsere Grenzen zu wahren oder wiederherzustellen. Emotionen gehen mit einem Handlungsimpuls einher. Das heißt, sie rufen ein bestimmtes Verhalten hervor, das zur Sicherung unserer Bedürfnisse und Erreichung unserer Ziele beitragen soll. Fehlt ein konstruktiver Umgang mit Emotionen, kann der Handlungsimpuls, der auf eine Emotion folgt, zur Entwicklung gesundheitsschädigender Verhaltensweisen führen. So dient zum Beispiel Essen, Tabak- oder Nikotinkonsum der Beruhigung in Situationen der Anspannung, Stressbelastung oder Langeweile, weil alternative Strategien zur Emotionsregulation fehlen.
Ungünstiger Umgang mit Emotionen
Fehlt eine konstruktive Emotionsbewältigung, kann dies unsere körperliche und psychische Gesundheit beeinträchtigen. Doch was ist eigentlich ein ungünstiger Umgang mit Emotionen? Folgende Faktoren weisen auf einen wenig konstruktiven Umgang hin:
geringe Toleranz und Akzeptanz von unangenehmen Emotionen
Vermeidung oder Unterdrückung von schwierigen Emotionen
Grübeln anstelle effizienter Problemlösung
ungünstige Einstellungen und Überzeugungen (vor allem hinsichtlich unangenehmer Emotionen)
Erleben undifferenzierter Emotionen
Emotionale Zustände werden in diesem Fall lediglich als angenehm oder unangenehm wahrgenommen. Eine genauere Zuordnung zu bestimmten Emotions-Qualitäten fehlt. Das heißt, es wird beispielsweise nicht zwischen Traurigkeit, Schuld- oder Schamgefühlen unterschieden, sondern einfach ein diffuses, unangenehmes Gefühl empfunden und keine konkrete Emotion. Die vorhandene Emotion kann nicht spezifisch benannt werden.
mangelndes Verständnis für den Zusammenhang zwischen Emotionen und eigenen Bedürfnissen
Fokussierung auf unerwünschte Emotionen
Schwierigkeiten erwünschte Emotionen zu aktivieren und zu empfinden
eingeschränkte Selbstberuhigung bei emotionaler Aufgebrachtheit
Emotionen sind “treue” und “zuverlässige” Begleiter im täglichen Leben. Sie lassen sich nicht wirklich abschütteln 😉 Verstehen wir ihre Funktion, so helfen sie uns, mit den Herausforderungen des Lebens zurechtzukommen. Schwierigkeiten ergeben sich meist nicht durch das Empfinden unangenehmer Emotionen, sondern durch das Fehlen eines angemessenen Umgangs mit ihnen.
Defizite der Emotionsregulation und Essverhalten
Personen mit Essstörungen tendieren dazu, Emotionen intensiver wahrzunehmen. Sie erleben Emotionen wie Anspannung, Nervosität, Furcht oder Ängstlichkeit tendenziell häufiger und intensiver als Personen mit gesundem Essverhalten. Zudem kann es für sie schwieriger sein, die eigenen Emotionen wahrzunehmen, zu erkennen, zu akzeptieren und angemessen zu bewältigen. Schwierige Emotionen oder Stress können bei Personen mit problematischem Essverhalten das Auftreten von unkontrolliertem Essen begünstigen.
Defizite der Emotionsregulation und psychisches Wohlbefinden
Studien zeigen, dass bei Personen mit Depressionen oder Ängsten ungünstige Strategien im Umgang mit schwierigen Emotionen besonders ausgeprägt sind.
Beispielsweise ist es für depressive Menschen herausfordernd, ihre Emotionen zu erkennen, unangenehme Emotionen zu akzeptieren und auszuhalten sowie sich emotional selbst zu unterstützen. Zudem treten depressive Symptome häufig gemeinsam mit Verhaltensweisen wie Grübeln oder Unterdrückung des emotionalen Ausdrucks auf.
Ein weiterer Zusammenhang besteht zwischen mangelnder Emotionsregulation und der Entwicklung bzw. Aufrechterhaltung intensiver Ängste. Probleme beim Erkennen und Benennen von Emotionen gehen mit einer erhöhten Ausprägung von Angstsymptomen einher.
Hilfreiche Fähigkeiten
Bestimmte Fähigkeiten erleichtern einen konstruktiven Umgang mit Emotionen und fördern das Verständnis für das eigene emotionale Erleben. Fähigkeiten für eine angemessene Emotionsregulation können Schritt für Schritt erlernt und gefestigt werden - dazu zählen zum Beispiel:
Emotionen bei sich selbst aufgrund körperlicher Reaktionen und Gedanken wahrnehmen und benennen zu können
Verstehen welches Bedürfnis hinter der jeweiligen Emotion steckt
dieses Bedürfnis angemessen ausdrücken und stillen zu können
Offenheit nicht nur für angenehme, sondern auch für unangenehme Emotionen
Erkennen der Ursache unangenehmer Emotionen
Regulation schwieriger Emotionen bei sich selbst und auch bei anderen Personen
Fähigkeit sich in belastenden Situationen selbst emotional zu unterstützen
Akzeptanz und Aushalten schwieriger Emotionen unter eingeschränkten Veränderungsmöglichkeiten
Bewusster Umgang durch Gesundheits- & Ernährungspsychologie
An der Entstehung von Emotionen sind zahlreiche Prozesse beteiligt. Diese laufen meist unbewusst ab, ebenso wie die Strategien im Umgang mit ihnen. Unbewusste und automatisierte Prozesse entziehen sich unserer Einflussmöglichkeiten! Eine intensivere Beschäftigung mit unserem Gefühlsleben fördert das Bewusstsein für die Prozesse der Emotionsentstehung sowie das Verständnis für das eigene emotionale Erleben und Verhalten. Dies bietet die Möglichkeit, einen konstruktiven Umgang mit schwierigen Emotionen zu finden und sie nicht mehr mit Essen “ruhig stellen” zu müssen. Die Ernährungs- bzw. Gesundheitspsychologie stellt dabei eine optimale Begleitung dar.
Quelle:
Glasenapp, J.: Emotionen als Ressourcen. Beltz, 2021
Berking, M.: Training emotionaler Kompetenzen. Springer, 2017